Es gibt Menschen, die müssen damit leben, regelmäßig an Arbeitstagen einen mentalen Zusammenbruch zu erleiden. Diagnose? Burnout.
Morgens stehen sie mit Übelkeit im Bauch auf, auf dem Weg zur Arbeit sinkt mit jedem Schritt die Laune ins Bodenlose und sie sehnen tagtäglich nur den Moment herbei, an dem sie diesem Job in diesem Umfeld nicht mehr nachgehen musst.
Und nun stell Dir vor, Du bist eine dieser Personen und bist allein aus Geldgründen dazu gezwungen, trotz all dieser unmissverständlichen Warnzeichen die Arbeitsstelle zu behalten, die Dir offenkundig alles andere als guttut.
Genau darum geht es in diesem Artikel: Was ist ein Burnout, was kostet er Dich – und welche Rolle spielen dabei Deine Finanzen?
Was genau ist ein Burnout?
Burnout ist eine psychische Belastungsreaktion, die in den letzten Jahren mit alarmierender Brutalität zugenommen hat. Wer eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließt, versichert sich damit auch gegen einen langfristigen Ausfall wegen Burnouts – und psychische Erkrankungen sind inzwischen zu einem der häufigsten Gründe geworden, warum Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum ihrem Job nicht nachgehen können.
Das Deutsche Ärzteblatt identifiziert sie inzwischen auch als häufigsten Grund für die Frührente: „Psychische Erkrankungen sind nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung der häufigste Grund für Erwerbsminderungsrenten; seit 1993 ist die Zahl entsprechender Rentenzugänge um 80 Prozent gestiegen. Risikofaktoren für psychische Erkrankungen sind nach Zipfel insbesondere bei Männern der Faktor Arbeit, gefolgt von hohen Anforderungen an sich selbst sowie ständiger Verfügbarkeit für die Arbeit auch in der Freizeit.“
Woran aber erkennt man, ob man von einem Burnout betroffen sein könnte?
Häufigste Burnout-Symptome
- enorme Erschöpfung
- ungewöhnlich starker Energiemangel
- andauernde Müdigkeit
- leichte bis massive Schlafstörungen
- verminderte Leistungsfähigkeit
- dauerhafte Konzentrations- und Gedächtnisprobleme
- das Gefühl, nichts mehr entscheiden zu können
- Initiative, Aktivitätslust und Fantasie sind auf einem absoluten Minimum
Auch die körperlichen Beschwerden haben es in sich und reichen von allem, was mit typischen Stresssymptomen zu tun hat (häufige Erkältungen, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Müdigkeit), bis zu Tinnitus, Atembeschwerden, Schwindel, Magen- und Darmproblemen und Engegefühlen in der Brust. Schwere Burnout-Fälle steigern sich bis zu Suizidgedanken.
Schwer wiegen allerdings nicht nur die Symptome selbst, sondern auch die Auswirkungen. Der größte Teil des eigenen Lebens zieht ungenutzt an den Betroffenen vorbei: Sie haben zu wenig Kraft, um am „normalen“ Leben teilzuhaben, und selbst wenn, so fühlen sie zu wenig, um die Schönheit eines Moments wahrzunehmen und wieder Energie daraus ziehen zu können.
„Im Laufe der Zeit wächst der Frust. Betroffene nehmen ihre große Erschöpfung erst wahr, wenn die Stimmung von Euphorie in Resignation umschlägt. Ein Gefühl innerer Leere breitet sich aus. Manche trifft das wie ein Schlag. (…) Als erstes fällt Freunden und Familie meist die gesteigerte Reizbarkeit der betroffenen Person auf.“ (https://www.schoen-klinik.de/burnout)
Und wer so tiefenentladen ist, dass er/sie die Akkus kaum wieder aufladen kann … Du kannst es Dir denken: ein perfekter Teufelskreis.
Burnout passiert öfter, als man denkt
Das kann zu ernsthaften Problemen mit dem Umfeld führen – in der Partnerschaft, in der Familie, mit Freunden. Wer sich immer stärker zurückzieht und jede Minute nur zum Durchatmen und Ausruhen braucht, um sich überhaupt dem Alltag stellen zu können, verpasst nicht nur viel, sondern sieht ggf. sogar der Zerstörung seiner sozialen Beziehungen hilflos zu.
Stell Dir also vor, Du steckst in einem Job fest, der Dich offenkundig krankmacht. Vielleicht hast Du nicht mal eine besonders hohe Arbeitsbelastung, sondern wirst im Job einfach nullkommanull wertgeschätzt oder sitzt stumpf Dein Leben ab.
Und dann kommt dieses innerliche Zittern.
Und es geht einfach nicht mehr weg.
Je länger man in einem solchen destruktiven Job feststeckt, umso weitreichender ist die Tiefenentladung und umso länger dauert die Erholungsphase danach.
Ein Burnout verbrennt die Betroffenen im schlimmsten Fall über Jahre. In dieser Zeit ist an die Ausübung einer (bezahlten) Tätigkeit nicht zu denken. Termine? Unvorstellbar. Und die Zahl der Betroffenen steigt jedes Jahr massiv.
Die AOK zählte 2019 durchschnittlich 5,9 Arbeitsunfähigkeitsfälle je 1.000 Mitglieder aufgrund einer Burn-out-Diagnose. Damit hat sich die Diagnosehäufigkeit im letzten Jahrzehnt beinahe verdoppelt. Auch das Krankheitsvolumen dieser Diagnosegruppe hat sich rapide erhöht: Waren es 2005 noch 13,9 Krankheitstage, registrierte die AOK 2019 bereits 129,8 AU-Tage je 1.000 Mitglieder. Hochgerechnet auf alle gesetzlich krankenversicherten Beschäftigten ergeben sich daraus für 2019 rund 185.000 Burn-out-Betroffene mit kulminierten 4,3 Millionen Krankheitstagen.
Einfach mal kündigen? Vergiss es!
Mein Partner steckt aktuell mittendrin. Der Burnout hat sich leise herangeschlichen. Erst wurde die Lust zu Unternehmungen immer geringer, irgendwann war der Frust über die Gesamtsituation allgegenwärtig. Freitagabend war das Wochenende bereits gelaufen, vor lauter Wut und Hilflosigkeit, dass der ganze Wahnsinn am Montag ja wieder von vorne beginnen würde.
Und dann tat er, was längst überfällig war: Er hat gekündigt.
Den Tag der Kündigung haben wir gefeiert, stießen auf diesen längst überfälligen Schritt miteinander an.
Er kündigte, ohne eine neue Stelle zu haben. Denn wie gesagt ist an Arbeit erst einmal nicht zu denken.
Jede Form von Druck, Erwartungshaltungen, Terminen oder sonstigem Stress führten in den ersten Monaten sofort zum innerlichen Zittern. Sich bei einem neuen Arbeitgeber bewerben und heucheln, man würde sich voller Enthusiasmus und Motivation in die neue Herausforderung stürzen? Eine lachhafte Vorstellung.
Die Reaktionen auf seine Entscheidung sind der Grund, warum ich diesen Artikel schreibe.
Unser Sozialsystem in Deutschland ermöglicht es, mit 60 Prozent des vorherigen Gehalts eine Zeitlang ein- und ausatmen zu können. Erst kommt die Krankschreibung (max. 6 Wochen bei voller Lohnfortzahlung), dann das Krankengeld (Voraussetzung: psychologische Begleitung) bis zu 18 Monate. Danach? Vermutlich Arbeitslosigkeit, solange es eben dauert.
Da mein Partner bereits Monate vorher deutliche Symptome hatte und die Ärztin ihm schließlich aktiv zur Kündigung riet, entfiel glücklicherweise die 3-monatige Sperre des Arbeitslosengeldes. Aber die Wartelisten für psychologische Unterstützung sind lang, und so mussten Auskurieren und Dem-Arbeitsamt-Rede-und-Antwort-stehen parallel laufen.
Nun leben wir bekanntermaßen auf verhältnismäßig kleinem Fuß, geben nur einen Bruchteil unserer Gehälter aus. In der Vergangenheit sind wir damit oft angeeckt und auf Unverständnis gestoßen. Warum leasen wir kein neueres Auto, warum kaufen wir keine Hochglanzmöbel, wird es nicht langsam Zeit für eine Immobilie auf Pump? Wenigstens eine (noch) größere Wohnung müsste doch drin sein …
Die Reaktionen aus dem direkten Umfeld zu seiner Kündigung waren mal voller Verständnis – und mal völlig fassungslos, wie es bei uns jetzt finanziell weitergehen soll:
- „Hast Du denn schon etwas Neues? Da musst Du Dich aber ranhalten!“
- „Wie willst Du denn von dem bisschen Geld jetzt leben können?“
- „Mir geht’s auch hundsdreckig im Job, aber mit dem Kredit im Rücken kann ich nicht auf das Gehalt verzichten.“
Wir ernteten viele hochgezogene Augenbrauen mit der Antwort, dass das Arbeitslosengeld mehr als kostendeckend ist und er sich jetzt erst einmal so lange eine Auszeit nimmt, wie es eben dauert.
So viel kostet es Dich, einen Burnout zu riskieren
Umgerechnet kostete meinen Partner das Festhalten an einem Arbeitgeber, der immer wieder Entlastung versprach und sie doch nie schuf, nicht nur seine psychische Gesundheit, sondern – schließlich sind wir hier auf einem Finanzblog – rückblickend über Monate bares Geld. Ohne Burnout hätte er keine 40 Prozent Gehaltseinbußen, bis er dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung steht …
Übrigens dauert das Auskurieren eines ausgewachsenen Burnouts ungefähr so lange wie es gedauert hat, in diese Krise hineinzurutschen. Nicht selten sprechen wir hier nicht von Monaten, sondern von ein bis zwei Jahren.
Das als kleiner Gedankenanstoß für alle, die noch Ausreden suchen und ihre ersten Symptome ignorieren:
Rechne es durch, was es Dich kostet, an einem destruktiven Arbeitsplatz festzuhalten. Was kostet es Dich in Euro, sagen wir mal optimistisch: ein halbes Jahr lang auf 40 Prozent Deines Gehalts zu verzichten, um wieder gesund zu werden?
Beispielrechnung
Du verdienst 2.000 Euro, lässt Dich mental ausnehmen wie eine Weihnachtsgans und fällst schließlich für schmale 6 Monate aufgrund des unausweichlichen Burnouts aus. Pro Monat hast Du also 800 Euro weniger zur Verfügung. Die toxische Situation nicht frühzeitig zu beenden kostet Dich also 4.800 Euro – und einen dicken Haufen Nerven, Selbstbewusstsein und gegebenenfalls sogar Freundschaften noch obendrauf.
Wer statt den Burnout zu riskieren diese 4.800 Euro in einen konservativen ETF steckt, darf sich bei konservativen 6% jährlicher Rendite und bei einem Anlagezeitraum von 20 Jahren auf einen Gesamtbetrag von 15.899 Euro (vor Steuern) freuen.
Sind das Gehalt und der Anlagezeitraum höher und die Genesungsphase länger, steigt der finanzielle Verlust natürlich umso stärker.
Change it or leave it. Du zahlst am Ende den Preis dafür. Und zwar doppelt.
Und wie kommt mein Partner nun mit den 60 Prozent tatsächlich über die Runden? Er ärgert sich, dass er nun nach ein paar Monaten einen ETF-Sparplan halbieren musste, um etwas mehr finanziellen Spielraum zu schaffen.
Das wars.
Wie lebt man von 60 Prozent des Gehalts?
Alle beide verwenden wir weit weniger als 60 Prozent unseres Einkommens für unsere Lebensgrundkosten (Wohnen, Essen, KFZ und alle Versicherungen). Beim deutschen Durchschnittseinkommen pro Person von 2.084 Euro netto im Monat bedeutet das: maximale Grundkosten in Höhe von 1.250,40 Euro. Sich also als Normalverdiener in kurzer Zeit auf maximal 1.250 Euro herunterreduzieren zu können (Abos kündigen, Versicherungen stoppen, Außer-Haus-Mahlzeiten reduzieren, Urlaube streichen, Diesdas), kann also ein ganz guter Anhaltspunkt sein.
Rechne es für Dein eigenes Einkommen einmal durch: Könntest Du – über einen begrenzten Zeitraum – von 60 Prozent Deines Gehalts leben?
Wie wir das machen? Es gibt keinen Hauskredit, keine Konsumschulden, wir rauchen nicht, und klar: Wir sind zu zweit und haben keine Kinder. Unsere Verbindlichkeiten halten wir gering und durch die aufgebaute Cashreserve und natürlich auch das passive Einkommen sind genug finanzielle Sicherheiten da, um freier entscheiden zu können, was der mentalen Gesundheit guttut und was nicht.
In aller Kürze: Der finanzielle Aspekt hat bei der Kündigung fast kein Gewicht gehabt.
Finanzielle Freiheit bedeutet vor allem: Entscheidungsfreiheit
Das ist für uns ein ganz großer Schritt in Richtung der finanziellen Freiheit: frei entscheiden zu können, was uns guttut, statt an einen toxischen Arbeitgeber gekettet zu sein.
Viele denken bei „Finanzieller Freiheit“ an Yachten, Designerhandtaschen und exotische Sandstrände, an einen lebenslangen Urlaub oder – glauben wir dem von den Medien gezeichneten Bild eines „Frugalisten“– knausernd und gelangweilt in der Hängematte zu schaukeln.
Für uns bedeutet „Finanzielle Freiheit“ hingegen: weniger Zwänge und nicht darüber nachdenken zu müssen, ob Gesundheit oder Geld vorgeht.
Darf‘s ein bisschen weniger YOLO sein?
Wir haben in der Vergangenheit so oft gehört: „Ich lebe lieber im Hier und Jetzt“ – und es sei jedem gegönnt! Finde Deinen Weg, der Dich erfüllt und mit dem Dir Dein Leben am meisten Spaß macht.
Aber es gibt Situationen, in denen es einfach eine gute Idee ist, finanziell nicht aus dem letzten Loch zu pfeifen, sondern sich ein bisschen etwas im Hintergrund aufgebaut zu haben. Kreativ geworden zu sein und sich einen kleinen Puffer geschaffen zu haben, der die finanziellen Abhängigkeiten ein bisschen weniger schwerwiegen lassen.
Ein Burnout ist ganz klar eine dieser Situationen.
Ich höre schon wieder die kritischen Stimmen: ABER DAS LETZTE HEMD HAT KEINE TASCHEN!
Das ist korrekt. Und Unfälle oder schwere Krankheiten passieren natürlich immer nur allen anderen.
25 Prozent der deutschen Arbeitnehmer erreichen nicht einmal ihr Rentenalter. Andere werden über 100 Jahre alt. Und bis dahin ist die Wahrscheinlichkeit leider hoch, an irgendeinem Punkt im Leben in einer verzwickten Situation festzustecken und eine Entscheidung treffen zu müssen: Geld oder Gesundheit. Diese Entscheidung kann leichtfallen. Oder sie kann schlaflose Nächte bescheren und ausweglos erscheinen.
Ich wünsche niemandem, die Erfahrung eines Burnouts machen zu müssen.
Aber wenn es doch passiert, wünsche ich jedem, dass die Entscheidung „pro oder contra Gesundheit“ keine Frage der Finanzen ist.
Gedanken, Meinungen, Deine Erfahrung? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!
Hallo Sventja,
Glückwunsch, dein Partner hat absolut richtig gehandelt. Unterstütze ihn bei seiner Entscheidung weiter, das wird euch auch in Zukunft noch mehr zusammenschweißen. Ich war vor inzwischen 6 Jahren in einer ähnlichen Situation und habe die Reißleine gezogen, allerdings hatte ich was neues (allerdings im Ausland) und wir haben Kinder.
Erst danach habe ich gemerkt, wie sehr ich mir selbst in den Jahren vorher geschadet hatte. Auch bei mir bedeutete die Entscheidung eine vorübergehende finanzielle Durststrecke, die sich aber inzwischen in genau das Gegenteil umgewandelt hat. Durch die positive Energie, die ein solcher Cut erzeugt, entstehen neue Möglichkeiten, die bei entsprechenden intellektuellen Fähigkeiten auf lange Sicht automatisch zu höherem Einkommen führen. Letztlich sind Arbeitgeber, die Mitarbeiter in den burnout rutschen lassen, nichts anderes als übelste Ausbeuter. Das sollte man sich immer klar machen.
Deinem Partner wünsche ich ganz viel Glück und hoffentlich eine baldige Erholung!
Alles Liebe
Medicus
Super das dein Partner den Mut zur Kündigung hatte! Das war jetzt das Wichtigste, der Rest kommt von selber.
Viel Erfolg Euch!
Danke für Deinen lieben Kommentar! Ja, da musste ein Schlussstrich her – sich die Symptome nicht mehr schönzureden und einzugestehen, dass es einfach nicht mehr geht, war ein langer Weg. Seither geht es mental bergauf. <3